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Herz aus dem Computer: Dassaults Living Heart Project

Auf der Simulia Community Conference (SCC) in Berlin, die ich im Augenblick besuche (ich berichte hier mehr), wurde das Living Heart Project von Dassault Systèmes vorgestellt. Es ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie weit die Simulationstechnologie heute reicht. In dem Projekt wurde ein nahezu lebensechtes Simulationsmodell eines schlagenden menschlichen Herzens vorgestellt, das sich unter anderem zur Entwicklung von medizinischen Geräten nutzen lässt.

150520_LivingHeart_2 Das Project wurde auf der Simulia-Konferenz 2013 als Proof-of-Concept vorgestellt und heute als Produkt auf den Markt gebracht. Steve Levine, Chief Strategy Officer bei Dassault Systèmes Simulia und Direktor des Living-Heart-Projekts, hat einen ganz persönlichen Zugang zu seinem Projekt: Seine Tochter wurde mit einem schweren Herzfehler geboren und benötigte von ihrem zweiten Lebensjahr an eine Vielzahl von Herzschrittmacher-Operationen. Dabei zeigte sich, dass das Implantieren des Herzschrittmachers und die Positionierung der Sonden, die die elektrischen Impulse an das Herz leiten, bis heute vor allem von Erfahrung abhängen. Es ist bis heute nicht wirklich im Detail geklärt, wo die Sonden sitzen müssen, damit die Stromschläge des Herzschrittmachers optimal wirken. Zudem brechen die Sonden gerne bei starker Bewegung, was erneute Operationen notwendig macht.

Living Heart Project – Simulation vom Mikro- bis in den Makrobereich

Das Living Heart-Projekt passt in die Strategie von Dassault Systèmes, ein „multi-scale“-Simulationsportfolio zu schaffen. Simulation wird aktuell meist auf Komponenten- und Baugruppenebene eingesetzt. Dassaults CEO will dies ausbauen, Simulation soll von der Atomebene bis hin zu Systemen von Systemen ausgebaut werden. Damit werden ganz neue Anwendungen und „Simulationsketten“ möglich, beispielsweise das Entwickeln neuartiger Materialien, das Simulation der Materialeigenschaften, der Einsatz dieser Materialien in Bauteilen und deren Integration in ein virtuelles Fahrzeugmodell. Die Integration dieses Fahrzeugmodells in den „digitalen Zwilling“ einer ganzen Stadt, der Smart City, bildet dann den Abschluss der Kette.

Im Medizinbereich laufen seit über zehn Jahren Bestrebungen, ein virtuelles Herzmodell aufzubauen. Bernard Charles erläuterte in einem Pressegespräch, dass diese Bestrebungen zum Teil daran scheiterten, dass diese Projekte überwiegend von einzelnen Akteuren gestartet wurden, zum anderen stand die notwendige Technologie lange Zeit nicht zur Verfügung. Dassault Systèmes hat es geschafft, seit dem offiziellen Projektstart im Januar 2014 aktuell 45 Mitstreiter im Living Heart Project zu vereinigen, von Universitäten über die Industrie bis hin zu Kardiologen. Der Beitritt der US-amerikanischen FDA (Food and Drug Administration), die für die Zulassung von Medikamenten und medizinischen Geräten zuständig ist, war dabei ein großer Schub.

Auf der SCC wurde nun mit Hilfe von zSpace-Monitoren das menschliche Herz erlebbar. Es ist faszinierend, mit 3D-Brille und Bedienstift das schlagende Herz zu betrachten und in unseren menschlichen Lebensmotor hineinzublicken. Doch das Modell kann viel mehr: Die Simulation enthält eine grobe Repräsentierung der Nervenbahnen und der Muskelfasern, ebenso werden der Blutfluss und die Kontraktion der Muskeln nachgebildet. Es ist also tatsächlich möglich, an einer Stelle des Modells einen Stromstoß auszulösen und die Reaktion des Herzmuskels darauf zu studieren. Die realistische Bewegung des virtuellen Herzens erlaubt es zudem, Den Einfluss von Stents oder künstlichen Herzklappen auf das Verhalten des Herzens zu analysieren.

Die FDA empfiehlt das Living Heart Project inzwischen als Grundlage für die Entwicklung medizinischer Geräte und Implantate. Das bedeutet, dass nicht mehr am Herz eines kleinen Mädchens per Trial und Error „herumgetestet“ werden muss, sondern dass diese Arbeit am geduldigen virtuellen Modell getan werden kann. Charles sagte: „Wir haben in zwei Jahren mehr erreicht als die anderen Projekte in über zehn Jahren.“ Manchmal braucht so ein Thema eben einen Anstoß von außen und eine Institution – in diesem Fall ein Unternehmen wie Dassault Systèmes – das die bisher einzeln agierenden Mitspieler in einer Branche an einen Tisch bringt, damit solche ein Projekt gelingt.

Das Living Heart Project erlaubt das Eintauchen in ein virtuelles, schlagendes menschliches Herz (Bild: Dassault Systems, John Mottern/Feature Photo Service).
Das Living Heart Project erlaubt das Eintauchen in ein virtuelles, schlagendes menschliches Herz (Bild: Dassault Systems, John Mottern/Feature Photo Service).

Bernard Charles machte deutlich, dass bei Dassault – „we are a scientific company“ – an ganz vielen unterschiedlichen Projekten dieser Art Grundlagenforschung betrieben wird, die in Produkte münden sollen. Das geht weit über die angestammte Branche hinaus in ganz verschiedene Bereiche, die Gründung der Dassault-Brands Biovia und Geovia zeigt das deutlich. Es ist also aus dieser Richtung noch einiges zu erwarten.

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