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Das Metaversum: Nur Zeitvertreib oder Zuhause für den digitalen Zwilling? (Serie)

Das oder die Metaversen sind ins Bewusstsein gerückt, seit Mark Zuckerberg im Oktober 2021 seine Pläne zur Erschaffung eines Metaversums bekanntgab und gleich sein Unternehmen in Meta umbenannte. Mancher erinnert sich noch an Second Life, das zwischen 2003 und 2009 einen großen Hype erfuhr. Vor allem in den ersten Jahren stürzten sich Firmen wie Adidas, Daimler, Vodafone oder Dell übertrafen sich mit eindrucksvollen Bauten und Angeboten. Die Ernüchterung folgte schnell, die taz schrieb schon im Jahr 2008 von der laufenden Pleitewelle in der virtuellen Welt.

Mark Zuckerberg – hier bei der FCS 2019 – brachte das Metaversum in den Fokus der Öffentlichkeit (Bild: ).

Nun lebt die Idee einer virtuellen Parallelwelt namens Metaversum wieder auf – und zwar nicht nur in den Plänen von Facebook beziehungsweise Meta, sondern auch im Bereich der Unternehmensdigitalisierung, beispielsweise in einer Kooperation von und . Diese Kooperation bringt den digitalen Zwilling in eine Umwelt, die es für eine wirklich realistische braucht.  Was soll das Metaversum bringen – wieder ein Hype oder doch eine Idee, die erst die passenden Umweltbedingungen brauchte, um Sinn zu haben? Auf den folgenden Seiten erkläre ich Metaversen, beleuchte verschiedene Aspekte und praktische Anwendungen des Metaversums – oder der Metaversen?

Der Artikel ist sehr lang und der besseren Lesbarkeit halber auf fünf Seiten aufgeteilt:

Metaversum I: Eine Wette auf die Zukunft mit realem Unterbau

Metaversum II: Was ist denn überhaupt ein Metaversum?

Metaversum III: Wo stehen wir heute – und wozu stehen wir da?

Metaversum IV: Arbeiten in Virtuellen Welten

Metaversum V: Fazit

Metaversum I: Eine Wette auf die Zukunft mit realem Unterbau

Laut einer McKinsey-Studie erhöhten sich die Investitionen in das Thema von 57 Mio. Dollar im gesamten Jahr 2021 auf über 120 Milliarden im laufenden Jahr 2022. McKinsey erwartet, dass das Metaversum das Potential hat, im Jahr 2030 einen Wert von bis zu 5 Billionen US-Dollar zu generieren, bei Citygroup beläuft sich das Potential auf 13 Billionen Dollar. Etwa 13 Mill. Dollar an Venture und Private Equity Capital flossen 2021 in Firmen, die sich mit Metaversen beschäftigen. Allein Meta steckte letztes Jahr mehr als zehn Milliarden Dollar in die Reality Labs, wo die -Entwicklung angesiedelt ist. Dort arbeiten wohl fast 10.000 Meta-Mitarbeiter an AR- und VR-Themen.

Die Internetkonzerne pumpen riesige Geldmengen in das Thema, weil mehrere Versprechen locken:

Ailin Gräf, als erste Metaverse-Millionärin auf der Titelseite der Business Week (Bild: Business Week).

Dass vor allem Letzteres nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigen einige Beispiele:

Damit lassen sich reale Produkte in der virtuellen Umgebung betrachten, aber auch testen, bedienen und nutzen. Das Metaversum kann als virtuelle Testwelt betrachtet werden, in welcher digitale Prototypen realistisch simuliert werden können. Ebenso kann ein Metaversum als dreidimensionales Entwicklungslabor genutzt werden, in dem ganze Teams gemeinsam an einem Produkt arbeiten – aber eben nicht wie aktuell jeder hinter seinem eigenen Bildschirm verschanzt, sondern interaktiv in einer gemeinsamen virtuellen Welt.

Aktuell besteht eine ganze Reihe von Metaversen, die Grundidee geht allerdings weiter, indem all diese getrennten Welten in eine universelle digitale Welt münden, das Metaversum. Vielleicht hilft es, wenn zunächst einmal der Begriff „Metaversum“ genauer definiert wird.

 

Alle Teile:

Metaversum I: Eine Wette auf die Zukunft mit realem Unterbau

Metaversum II: Was ist denn überhaupt ein Metaversum?

Metaversum III: Wo stehen wir heute – und wozu stehen wir da?

Metaversum IV: Arbeiten in Virtuellen Welten

Metaversum V: Fazit

 

Metaversum II: Was ist denn überhaupt ein Metaversum?

Das Decentraland präsentiert sich poppig (Bild: Decentraland).

Auf den ersten Blick sind sich alle einig: Das Metaversum ist – im Gegensatz zum realen Universum – eine virtuelle, dreidimensionale Welt, in der sich (unter anderem) Menschen mithilfe eines Avatars bewegen und miteinander interagieren. Doch schon bei Ausgestaltung und Zweck des Metaversums werden die Definitionen diffuser: Das Metaversum ist die logische Weiterentwicklung des Internets oder der sozialen Medien. Das Metaversum ist eine Spieleumgebung mit sozialer Interaktion. Das Metaversum ist die Zukunft der Zivilisation. Oder zumindest der Unternehmens-IT.

Nach einigen Tagen der Recherche bin ich nach immer noch recht ratlos, denn die Definitionen unterscheiden sich teils doch sehr. Die ausführliche Definition, auf die sich Industriegrößen wie Mark Zuckerberg von Facebook oder Tim Sweeney von Epic Games immer wieder berufen, ist in einem ausführlichen Essay des Marktanalysten und Venture-Capital-Verwalters Mathew Ball zu finden: „The Metaverse: What It Is, Where to Find it, and Who Will Build It“. Zuckerberg erklärte diesen Text zur Pflichtlektüre für jeden Facebook- beziehungsweise Meta-Mitarbeiter. Interessanterweise missachtet aber auch Zuckerbergs Vision einige der darin beschriebenen Merkmale des Metaversums.

Ball definiert sieben Merkmale des Metaverse – bei Ihm gibt es nur ein Metaversum – so:

Das Metaverse, so glauben wir, wird…

  1. beständig sein – das heißt, es wird niemals „zurückgesetzt“ oder „pausiert“ oder „endet“, sondern es geht einfach unendlich weiter.
  2. synchron und live sein – obwohl im Voraus geplante und in sich abgeschlossene Ereignisse stattfinden werden, genau wie im „wirklichen Leben“, wird das Metaverse eine lebendige Erfahrung sein, die für jeden konsistent und in Echtzeit existiert.
  3. keine Obergrenze für die Anzahl der gleichzeitigen Nutzer haben, während gleichzeitig jedem Nutzer ein individuelles Gefühl der „Präsenz“ vermittelt wird – jeder kann ein Teil des Metaverse sein und an einem bestimmten Ereignis/Ort/einer bestimmten Aktivität gemeinsam, zur gleichen Zeit und mit individueller Handlungsfähigkeit teilnehmen.
  4. eine voll funktionsfähige Wirtschaft sein – Einzelpersonen und Unternehmen werden in der Lage sein, ein unglaublich breites Spektrum an „Arbeit“ zu schaffen, zu besitzen, zu investieren, zu verkaufen und dafür belohnt zu werden. Diese Arbeit erzeugt einen „Wert“, der von anderen anerkannt wird.
  5. eine Erfahrung sein, die sowohl die digitale als auch die physische Welt, private und öffentliche Netzwerke/Erfahrungen sowie offene und geschlossene Plattformen umfasst.
  6. eine noch nie dagewesene Interoperabilität bieten von Daten, digitalen Gegenständen/Assets, Inhalten usw. über alle diese Erfahrungen hinweg – Ihr Counter-Strike-Waffen-Skin könnte beispielsweise auch zur Verzierung einer Waffe in Fortnite verwendet oder einem Freund auf/über Facebook geschenkt werden. In ähnlicher Weise könnte ein für Rocket League (oder sogar für die Porsche-Website) entworfenes Auto auch in Roblox zum Einsatz kommen. Heute verhält sich die digitale Welt im Grunde wie ein Einkaufszentrum, in dem jedes Geschäft seine eigene Währung verwendet, eigene Ausweise benötigt, eigene Maßeinheiten für Dinge wie Schuhe oder Kalorien und unterschiedliche Kleiderordnungen hat usw.
  7. mit „Inhalten“ und „Erlebnissen“ angefüllt, die von einer unglaublichen Vielzahl von Mitwirkenden geschaffen und betrieben werden. Einige von diesen sind unabhängige Einzelpersonen, während andere informell organisierte Gruppen oder kommerziell ausgerichtete Unternehmen sein können.

(Zitat aus „The Metaverse: What It Is, Where to Find it, and Who Will Build It” in eigener Übersetzung)

Die erste Fashion Week wurde in Second Life veranstaltet (Bild: Linden Lab).

Gerade der sechste Punkt – grenzenlose Interoperabilität – wird von den aktuellen Entwicklungen natürlich nicht eingehalten. Es wiederholt sich ein Muster, das die EDV seit ihren Anfängen in der Entwicklung hemmt: Jeder Anbieter versucht, seine Kunden mit Hilfe proprietärer Dateiformate und Schnittstellen im eigenen Kosmos zu halten und die Mitnahme von Assets in andere Systeme so schwierig wie möglich zu machen. IN Zeiten der Cloud und der Plattformökonomie wird dieses Verhalten etwas besser, aber ist immer noch immanent.

Interessant an Balls Essay ist auch noch die Aufzählung, was das Metaverse NICHT ist:

Das Metaverse ist nicht…

  1. eine „virtuelle Welt“ – Virtuelle Welten und Spiele mit KI-gesteuerten Charakteren gibt es schon seit Jahrzehnten, ebenso wie solche, die von „echten“ Menschen in Echtzeit bevölkert werden. Es handelt sich nicht um ein „Meta“-Universum (griechisch für „jenseits“), sondern nur um ein synthetisches und fiktives Universum, das für einen einzigen Zweck (ein Spiel) entwickelt wurde.
  2. Ein „virtueller Raum“ – Digitale Inhaltserfahrungen wie Second Life werden oft als „Proto-Metaversen“ angesehen, weil sie
    1. keine spielähnlichen Ziele oder Fähigkeitssysteme haben;
    2. virtuelle Treffpunkte sind, die fortbestehen;
    3. nahezu synchrone Inhaltsaktualisierungen bieten; und
    4. reale Menschen durch digitale Avatare repräsentiert werden.

Dies sind jedoch keine ausreichenden Attribute für das Metaverse.

  1. „Virtuelle Realität“ – VR ist eine Möglichkeit, eine virtuelle Welt oder einen virtuellen Raum zu erleben. Das Gefühl der Präsenz in einer digitalen Welt macht noch kein Metaverse aus. Das ist so, als würde man sagen, man habe eine blühende Stadt, weil man sie sehen und um sie herumgehen kann.
  2. eine „digitale und virtuelle Wirtschaft“ – auch diese gibt es bereits. Einzelne Spiele wie World of Warcraft haben seit langem eine funktionierende Wirtschaft, in der reale Menschen virtuelle Güter gegen echtes Geld tauschen oder virtuelle Aufgaben im Austausch gegen echtes Geld erledigen. Darüber hinaus basieren Plattformen wie Amazons Mechanical Turk sowie Technologien wie Bitcoin auf der Beauftragung von Einzelpersonen/Unternehmen/Rechenleistung zur Ausführung virtueller und digitaler Aufgaben. Wir tätigen bereits in großem Umfang Transaktionen für rein digitale Gegenstände für rein digitale Aktivitäten über rein digitale Marktplätze.
  3. ein „Spiel“ – Fortnite weist viele Elemente des Metaverse auf. Es
    1. vermischt geistiges Eigentum;
    2. hat eine konsistente Identität, die sich über mehrere geschlossene Plattformen erstreckt;
    3. ist ein Tor zu einer Vielzahl von Erfahrungen, von denen einige rein sozialer Natur sind;
    4. entschädigt Schöpfer für die Erstellung von Inhalten, usw.
Schon 2019 zeigte Andrew ‘Boz' Bosworth von Facebook VR/AR-Anwendungen (Bild: Facebook).

Wie im Fall von Ready Player One ist es jedoch zu eng gefasst, was es tut, wie weit es reicht und welche „Arbeit“ es leisten kann (zumindest im Moment). Das Metaverse mag zwar einige spielähnliche Ziele haben, Spiele beinhalten und Gamification beinhalten, aber es ist weder selbst ein Spiel, noch ist es auf bestimmte Ziele ausgerichtet.

  1. ein „virtueller Themenpark oder Disneyland“ – Die „Attraktionen“ werden nicht nur unendlich sein, sie werden auch nicht zentral „entworfen“ oder programmiert wie Disneyland, und es wird auch nicht nur um Spaß oder Unterhaltung gehen. Darüber hinaus wird die Verteilung des Engagements sehr lange Nachwirkungen [long tail]
  2. ein „neuer App-Store“ – Niemand braucht einen weiteren Weg, um Apps zu öffnen, noch würde dies „in VR“ (als Beispiel) die Art von Wert freisetzen/ermöglichen, die von einem Nachfolge-Internet erwartet wird. Das Metaverse unterscheidet sich grundlegend von den heutigen Internet-/Mobilfunkmodellen, der Architektur und den Prioritäten.
  3. eine „neue UGC [User Generated Content, von Anwendern erzeugte Inhalte]-Plattform“ – Das Metaverse ist nicht einfach eine weitere YouTube- oder Facebook-ähnliche Plattform, auf der zahllose Einzelpersonen Inhalte „erstellen“, „teilen“ und „monetarisieren“ können, wobei die beliebtesten Inhalte nur einen winzigen Teil des Gesamtkonsums ausmachen. Das Metaverse wird ein Ort sein, an dem richtige Imperien investiert und aufgebaut werden, und an dem diese kapitalkräftigen Unternehmen einen Kunden vollständig besitzen können, APIs/Daten, wirtschaftliche Einheiten usw. kontrollieren. Darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass, wie im Web, ein Dutzend Plattformen einen bedeutenden Anteil an der Zeit, den Erfahrungen, den Inhalten usw. der Nutzer haben.

(Zitat aus „The Metaverse: What It Is, Where to Find it, and Who Will Build It” in eigener Übersetzung, mit meinen Ergänzungen in eckigen Klammern)

Liest man das Essay durch, zeigt sich, dass Balls Definition sehr weit geht und wir heute noch lange nicht auf einem technologischen Stand sind, bei dem sich „das Metaverse“ erschaffen ließe. Realistisch betrachtet stehen wir heute auf dem Stand eines virtuellen Raums oder einer virtuellen Welt. Und damit bei einer Vorstufe des Metaverse, auf der sich viele unterschiedliche Metaverses parallel bilden.

 

Alle Teile:

Metaversum I: Eine Wette auf die Zukunft mit realem Unterbau

Metaversum II: Was ist denn überhaupt ein Metaversum?

Metaversum III: Wo stehen wir heute – und wozu stehen wir da?

Metaversum IV: Arbeiten in Virtuellen Welten

Metaversum V: Fazit

Metaversum III: Wo stehen wir heute – und wozu stehen wir da??

Second Life ist nach wie vor das populärste Metaversum (Bild: Linden Lab).

Überraschenderweise ist Second Life nach wie vor erfolgreich, etwa 900.000 User sind monatlich aktiv, nach einem erkennbaren Anstieg während der Pandemie. Computerspiele wie Fortnite oder Roblox, bei denen User in und mit virtuellen Welten interagieren können, haben grüßen Erfolg. In Fortnite und Roblox wurden schon Live-Konzerte veranstaltet, wie übrigens auch in Second Life. Allerdings greifen die Plattformen hier zu einem Trick: So waren beim Konzert des Rappers Travis Scott zwar 12 Millionen Zuschauer dabei, aber eben nicht alle gemeinsam: Die Plattform vervielfachte den Bereich, in dem das Konzert stattfand, so dass nur wenige Dutzend Avatare tatsächlich in einer gemeinsamen Instanz waren. Damit ist sozusagen das dritte Merkmal von Balls Bedingungen nicht erfüllt.

Die Grafik ist inzwischen recht realistisch und auch die Physik funktioniert „richtig“ – was Epic Games und deren Spieleengine Unreal ins Spiel bringt. Unreal ist eine Art Betriebssystem für Spiel. die dafür sorgt, dass die virtuelle Welt realistisch – oder eben gewünscht unrealistisch – funktioniert. Ohne Unreal könnte man Gegenstände nicht anfassen und bewegen, ebenso berechnet die Engine beispielsweise die Schwerkraft ins Verhalten aller Bestandteile der Simulation. Im Gegensatz zu Physikengines technischer Simulationspakete ist Unreal auf Echtzeit-Geschwindigkeit ausgelegt, es werden Abstriche bei Detailgrad und Realismus gemacht, um jegliche Latenz der Umgebung zu verhindern.

VR-Brillen bringen zusätzliche Realität ins Spiel – nicht umsonst hat Facebook den VR-Brillen-Pionier Oculus VR gekauft. Der Nutzer wird noch stärker in die virtuelle Welt hineingesogen und kann sich stärker mit ihr identifizieren. In den aktuellen Welten ist es also möglich, das „echte Leben“ sehr weitgehend nachzuempfinden – Linden Labs hat in Second Life sogar die Möglichkeit implementiert, Sex zwischen Avataren (erwachsener Spieler) zu haben. Die Teilnehmer nutzen das System heute, um Tiere zu züchten, andere Menschen zu treffen oder speziellen Interessen nachzugehen – beispielsweise in Star Trek-Rollenspielen.

Trotzdem stellt sich bei solchen Metaversen am Ende doch die Frage, welchen Zweck es hat, am Computer in einer Software das reale Leben nachzuspielen – statt einfach ins reale Leben hinauszugehen. Im Gegensatz zu Computerspielen gibt es in Second Life keine Mission, keine Handlung und kein Ziel, das zu erreichen ist.

Interessanterweise spielen ja alle Bücher und Filme, in denen ein virtuelles Universum eine Rolle spielt, in dystopischen Welten – sei es „Snow Crash“ von Neal Stephenson, in dem die Worte „Metaversum“ und „Avatar“ im Jahr 1992 erstmals erwähnt wurden, „Ready Player One“ oder „Matrix“. Die Protagonisten fliehen aus ihrem schönen realen Leben in die glänzende virtuelle Welt – für sie macht es ja Sinn. Wer jedoch in unserer Welt ein einigermaßen gutes Leben hat, hat keine Veranlassung, viele Stunden und Tage in virtuellen Welten zu verbringen.

Andererseits verbringen erstaunlich viele Menschen schon heute viel Zeit auf Facebook, Youtube oder TikTik. Zuckerbergs Metaverse ist dementsprechend die realistisch aussehende Version eines Social Networks – in dem die Menschen noch mehr Zeit verbringen sollen. Und Zuckerbergs Wette auf das Metaverse ist groß: Oculus kostete 2014 2,3 Mill. Dollar, inzwischen arbeiten wohl knapp 10.000 Facebook-Mitarbeiter an VR- und AR-Technologien. Alleine in Europa will der Konzern laut einem Heise-Artikel weitere 10.000 Stellen im Metaverse-Bereich aufbauen.

Gespräche in Second Life bringen Menschen über große Entfernungen zusammen (Bild: Linden Lab).

Und hat uns nicht die Pandemie gelehrt, wie gut Videokonferenzen im geschäftlichen und privaten Bereich funktionieren? Wäre es nicht großartig, wenn man beim Telefonieren nicht nur einen Oberkörper auf dem Bildschirm gegenübersitzen hätte, sondern sich per Avatar virtuell treffen könnte? Hier steht allerdings die Tatsache im Weg, dass keine bezahlbare Technologie die Mimik auf einen Avatar übertragen kann – wer will schon den ganzen Tag mit grünen Punkten auf dem Gesicht herumlaufen wie die Schauspieler beim Filmen von James Camerons „Avatar“? Und ohne Gesichtsmimik ist ein großer Faktor der Kommunikation wieder verloren – was den Erfolg von Video- gegenüber Telefonkonferenzen erklärt.

Wie ein zu Ende gedachtes Metaversum aussehen würde, zeigt der Film „Matrix“ – die realen Körper der Menschen liegen in einer Art Hochregallager, während der Verstand der Menschen in einer kompletten virtuellen Welt lebt. Das kann und wird natürlich nicht das Ziel der Entwicklung sein – und nicht umsonst warten die Menschen in der Matrix auf ihren Erlöser in Form des „Auserwählten“. Andererseits ist eine simulierte Welt immer dann interessant, wenn es darum geht, Dinge zu tun, ohne reale Konsequenzen zu erfahren – das beste Beispiel sind hier Flugsimulatoren für die Pilotenschulung. Hier lassen sich beliebig schwere Notsituationen trainieren, am Ende zerschellt eben nur ein virtuelles Flugzeug und der Pilot geht – um eine Erfahrung reicher – nach Hause.

 

Alle Teile:

Metaversum I: Eine Wette auf die Zukunft mit realem Unterbau

Metaversum II: Was ist denn überhaupt ein Metaversum?

Metaversum III: Wo stehen wir heute – und wozu stehen wir da?

Metaversum IV: Arbeiten in Virtuellen Welten

Metaversum V: Fazit

Metaversum IV: Arbeiten in Virtuellen Welten

Seit vielen Jahren entwickeln Produktdesigner und -konstrukteure Produkte dreidimensional mit Hilfe von 3D-CAD- und Modelliersystemen. Doch ihr Arbeitsplatz ist nach wie vor überwiegend zweidimensional – Maus, Tastatur und Bildschirm. Zum Glück ist das Gehirn in der Lage das zweidimensionale Bild dreidimensional zu interpretieren, und eine 3D-Maus gibt ein gewisses Raumgefühl dazu. Trotzdem haben sich nicht einmal 3D-Bildschirme mit Polarisations- oder Shutterbrillen im CAD-Bereich durchgesetzt.

Siemens Process Simulate verbindet sich mit Nvidia (rechts), um eine realistische Simulationswelt zu erschaffen.

Das ist meist kein Problem, allerdings gibt die Bildschirmansicht kein Gefühl für Größenverhältnisse und oft auch nicht für Perspektiven. Das Aussehen eines Produkts in der meist künstlich verzerrten CAD-Systemdarstellung zu beurteilen, mag an einem eher kubischen Objekt noch gelingen, eine Autokarosserie oder eine kunstvoll geformte Parfümflasche wird der Designer immer in 3D sehen wollen, um die Form zu beurteilen. Hier bieten sich VR- oder AR-System an, die das virtuelle Produkt im dreidimensionalen Raum erlebbar machen.

Noch interessanter wird es, wenn das virtuelle Produkt in dieser virtuellen Umgebung auch realistisch reagiert, sich bedienen lässt und „richtig“ funktioniert. Dies wird in Verbindung mit technischen Simulationssystemen schon heute genutzt, um beispielsweise die Bedienung und sogar das Fahrverhalten von Autos virtuell zu testen.

Und da sind wir sehr schnell bei zwei Hype-Begriffen: Metaversum und Digitaler Zwilling. Der digitale Zwilling enthält alle Informationen, die das Metaversum benötigt, um das Produkt in die virtuelle Welt zu integrieren. Unter anderem lassen sich Maschinensteuerungen simulieren oder als echte Hardware in digitale Simulationen einbinden, um eine Maschine in der virtuellen Umgebung laufen zu lassen. Die virtuelle Inbetriebnahme ist eine immer öfter genutzte Technologie, um vor dem Aufbau komplexer Anlagen das Zusammenspiel der Komponenten, Sensoren und Aktoren mit der Steuerung zu testen.

Eine virtuelle Inbetriebnahme in einem Metaverse würde es dann dem Kunden oder Kollegen an anderen Standorten erlauben, als Avatar bei der virtuellen Inbetriebnahme dabei zu sein. Denkbar sind auch Konfigurationssessions, bei der Vertrieb, Konstruktion und Kunde gemeinsam eine Maschine aus Komponenten zusammenstellen und im Verbund laufen lassen. Schon heute konfigurieren Interessenten ihr Auto im Internet – warum nicht in einem Metaverse, wo ihnen ein Verkäufer-Avatar zur Beratung zur Seite stehen und vielleicht sogar eine virtuelle Probefahrt möglich ist.

setzt mit Nvidia auf die viretuelle Fabrikplanung (Bild: BMW Group).

Nicht zuletzt ist ein Metaverse die ideale Trainings- und Schulungsumgebung. Heute trainieren Astronauten in riesigen Wassertanks ihre Außenmissionen, weil nur unter Wasser die Schwerkraft ausgeschaltet werden kann. Dazu baut die NASA ganze Teile einer Weltraumstation im Tank nach. Wieviel einfacher wäre es, diese Trainings in einer virtuellen Welt stattfinden zu lassen? Übertragen auf „irdische“ Szenarien können Servicetechniker an einem realistischen 3D-Modell einen komplexen Umbau durchspielen. So lässt sich testen, welche Baugruppen abgebaut werden müssen, um an die gewünschte Stelle zu kommen. Welche Geräte braucht man dazu, reicht die Deckenhöhe für den benötigten Kran, passt die neue Baugruppe an die gewünschte Stelle? All diese Themen lassen sich testen, bevor die Maschine abgestellt und zerlegt wird.

Was passiert eigentlich, wenn ich die Taktzahl einer Maschine um 20 Prozent erhöhe? Im Metaverse dürfen endlich einmal nach Herzenslust Knöpfchen gedrückt und Regler gedreht werden. Die realistische Simulation sorgt dafür, dass die virtuelle Maschine wie ihr echtes Pendant reagiert und beispielsweise der erhöhte Takt für einen Stau im Durchlauf der Anlage sorgt. Erfahrene Anlagenmechaniker können mit Technikern vor Ort zusammenarbeiten, ohne den Firmensitz verlassen zu müssen – so lassen sich Reisezeiten reduzieren und erfahrene Mitarbeiter gezielter und effizienter einsetzen.

In der Medizin lassen sich Operationen am virtuellen Patienten, der individuell aus einer 3D-Computertomografie besteht, durchspielen. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt, das Metaverse ist sozusagen die natürliche Umgebung für digitale Zwillinge. Im geschäftlichen Umfeld wird man auch nicht unendlich viel Zeit hinter der VR-Brille und in der Simulation verbringen, so dass sich die körperlichen und sozialen Auswirkungen in Grenzen halten lassen.

 

Alle Teile:

Metaversum I: Eine Wette auf die Zukunft mit realem Unterbau

Metaversum II: Was ist denn überhaupt ein Metaversum?

Metaversum III: Wo stehen wir heute – und wozu stehen wir da?

Metaversum IV: Arbeiten in Virtuellen Welten

Metaversum V: Fazit

Metaversum V: Fazit

Metaversen sind die konsequente Weiterentwicklung aktueller IT-Trends – Cloud, 3D-Modellierung, digitaler Zwilling, Echtzeit-Simulation, Virtual Reality, Remote Meetings – all dies sind Puzzleteile, die sich zu Metaversen zusammenfügen. Wie immer bei neuen Technologien sind wir heute erst einmal in der Hype-Phase, in der Modedesigner Millionen für virtuelle Grundstücke ausgeben. Im Hintergrund reifen jedoch realistische Anwendungen heran, die die Welt der Produktentwicklung entscheidend verändern und erweitern werden. Die ersten „ernsthaften“ Player wie Siemens und Nvidia springen bereits auf den Zug auf.

Extrem komplexe Fabrikumgebung wie hier eine Fertigung bei BMW lassen sich virtuell testen (Bild: BMW Group).

Ob irgendwann „DAS“ Metaversum entsteht, in dem alle anderen Metaverses aufgehen, wäre sicher wünschenswert in dem Sinn, dass Assets und „Dinge“ aus allen Quellen gemeinsam genutzt werden können. Wenn man sich allerdings die Geschichte der IT und den ungebrochenen Trend zu herstellerspezifischen Lösungen betrachtet, wage ich zu bezweifeln, dass Meta, Apple und all die anderen Großkonzerne irgendwann ihre Lösungen in einem gemeinsamen Metaverse aufgehen lassen. Ganz abgesehen von Staaten wie China, die ein eigenes, abgeschottetes Internet betreiben. Die „Digitale Chinesische Mauer“ wird sicher auch im Metaversum wirksam werden.

Nichtsdestotrotz ist das Metaversum eine faszinierende Technologie. Noch vor zweieinhalb Jahren hätte ich deren Sinn bezweifelt, aber nach den Erfahrungen der Corona-Lockdowns und der Bedeutung, die Videokonferenzen seither gewonnen haben, kann ich mir gut vorstellen, dass Treffen in der virtuellen Realität interessant werden. Zumindest helfen sie, geographische Entfernungen zu überwinden. Um der Videokonferenz den Rang abzulaufen, müsste die Mimik-Übertragung technologisch umsetzbar werden – aber das ist eines der Gebiete, in die mit Hochdruck Gelder gepumpt werden.

Eine ganze Reihe von Technologien müssen entwickelt, preiswerter und für Durchschnittsuser verfügbar werden, bevor wir ernsthaft ins Metaverse einsteigen. Und nicht zuletzt sollten wir alle daran arbeiten, die reale Welt lebenswert zu halten, damit wir erst gar nicht in die Lage kommen, das Metaversum als Fluchtort vor der dystopischen Realität zu benötigen.

Alle Teile:

Metaversum I: Eine Wette auf die Zukunft mit realem Unterbau

Metaversum II: Was ist denn überhaupt ein Metaversum?

Metaversum III: Wo stehen wir heute – und wozu stehen wir da?

Metaversum IV: Arbeiten in Virtuellen Welten

Metaversum V: Fazit

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