Mit Onshape kam im Dezember 2015 das erste Cloud-native CAD-System auf den Markt, das System ist ein gutes Beispiel dafür, dass Cloud mehr ist als „nur“ Speicherplatz und Rechenleistung ohne Grenzen. In einer Artikelreihe möchte ich diese Vorteile genauer analysieren. Heute soll es um den nach der CAD-Modellierung – sehr oft – nächsten Schritt des Produktentwicklungsprozesses gehen: Die NC-Programmierung, natürlich zeitgemäß direkt am 3D-Modell mit dem CAM-System – im Fall von Onshape nennt sich dies CAM Studio.

Denn das 3D-Modellieren ist ja eigentlich erst der Anfang des eigentlichen Prozesses hin zum Produkt – möglichst schnell soll aus dem virtuellen Modell ein echtes, physikalisches Teil werden. Das passiert in den meisten Fällen unter Einsatz eines Bearbeitungszentrums beziehungsweise einer CNC-gesteuerten Fräs- oder Drehmaschine. Dementsprechend wichtig ist es, neben einem CAD- auch ein CAM-System zu haben – und das idealerweise eng integriert. Für Onshape ist nun CAM Studio verfügbar, das erste Cloud-CAM-System.
Um genau zu sein: PTC akquirierte im Jahr 2022 das erste Cloud-CAM-System Cloudmilling. Inzwischen wurde das System nahtlos integriert und ist nun als CAM Studio in Onshape verfügbar. Das CAM-Modul ist in zwei Ausbaustufen verfügbar, CAM Studio ist in der Pro- und Enterprise-Lizenz enthalten, während das umfangreichere CAM Studio Advanced eine eigene Lizenz darstellt. Die Onshape-verantwortlichen sagten mir, dass es Pläne gibt, die Education-Lizenzen ebenfalls mit CAM Studio auszustatten.
Leer gehen die kostenlosen und Standard-Lizenzen aus – was schade ist, weil CAM Studio sogar einen Postprozessor für GRBL enthält, einen „NC-Code-Dialekt“, den preiswerte Hobbyfräsen wie die Shapeoko verstehen. Eine preiswerte Onshape-Lösung mit CAM wäre für mich die absolute Traum-Paarung für eine solche Fräse, wie ich sie auch in meinem Buch „CNC-Fräsen für Maker“ beschrieben habe.
Umfassende Unterstützung von Frästechnologien
CAM Studio unterstützt in der Grundausstattung das Fräsen mit 2,5 Achsen sowie einfache 3-Achs-Fräsoperationen. Die Advanced-Version liefert darüber hinaus 4-Achsenfräsen und 5-Achs-Fräsen mit angestellten Achsen oder simultan. 5-Achsfräsen mit angestellten Achsen wird auch 3+2-Achsbearbeitung genannt. Bei dieser Bearbeitungsart werden die beiden letzten – meist im Maschinentisch realisierten Achsen – nur genutzt, um das Werkstück „anzustellen“, also in eine bestimmte Lage zu drehen. Die eigentliche Bearbeitung erfolgt dann dreiachsig.

Aktuell nicht verfügbar, aber geplant, sind Drehbearbeitungen im Standardpaket sowie erweiterte Dreh- sowie Dreh-Fräsbearbeitung im Advanced-Paket. Spätestens dann dürften die Anforderungen der allermeisten NC-Programmierer abgedeckt sein. Zudem sind Erweiterungen für Nesting, Wasserstrahl- und Laserschneiden in der Planung.
Was macht nun CAM Studio besonders? Nun, erst gelten einmal alle Besonderheiten, die für Onshape an sich gelten – nahtlose Zusammenarbeit, Branching & Merging, Datensicherheit und so weiter. Ein sehr wichtiger Faktor ist die nahezu unendliche Rechenleistung der Cloud, denn die Berechnung der Maschinenpfade ist extrem rechenintensiv und benötigt viel Arbeitsspeicher – CAM-Anwender haben meist (noch) dickere Rechner unter dem Schreibtisch als die CAD-Kollegen. Bei Onshape läuft die Pfadberechnung in der Cloud und so lassen sich auch sehr komplexe Bearbeitungen auf „Bürohardware“ erledigen. Die Programmierer haben jedenfalls mit hochparalleler Programmierung dafür gesorgt, dass die NC-Berechnungen auf viele Prozessoren verteilt werden können und damit extrem gut skalieren.
Branching und Merging ist im CAM-Bereich auch sehr interessant, denn so lassen sich verschiedene Bearbeitungsabläufe parallel untersuchen und nach Bearbeitungszeit, benötigten Werkzeugen oder Qualität analysieren. So ist die optimale Lösung schnell gefunden. Und da die PDM-Funktionen tief im Onshape-System integriert sind, werden die CAM-Daten gemeinsam mit den CAD-Daten verwaltet.
Mehrstufiges Restmaterialbearbeiten inklusive
Um Fräsbearbeitungen möglichst effizient zu bearbeiten, wählt man oft eine mehrstufige Bearbeitungsstrategie. Es muss ein Kompromiss gefunden werden zwischen der effizienten Bearbeitung mit einem Fräser mit größerem Durchmesser und der notwendigen Detailgenauigkeit, für die ein kleinerer Fräser notwendig ist.
Um beispielsweise einen Innenecke mit drei Millimeter Radius auszuarbeiten, benötigt man einen Fräser mit maximal sechs Millimetern Durchmesser. Ein Fräser mit zehn Millimeter Durchmesser könnte eine solche Innenecke nicht komplett ausarbeiten. Würde man jedoch von Beginn an mit dem kleinsten notwendigen Fräser arbeiten, würde dies sehr lange dauern – ein größerer Fräser kann in einer Bewegung natürlich mehr Material abtragen.
Deshalb wählt man eine mehrstufige Bearbeitung: Zunächst stellt man mit einem größeren Fräser eine grobe Grundform her. Zwangsläufig bleibt dabei Material stehen. Dieses Restmaterial wird dann in einem zweiten Bearbeitungsschritt – oder sogar in mehreren Schritten – mit einem kleineren Durchmesser zerspant.
Dazu ist es notwendig, die entstehenden Zwischenstufen als 3D-Modell zu berechnen, denn sie dienen als neuer Rohling für die nächste Bearbeitungsstufe. Auch diese mehrstufige Bearbeitung beherrscht Onshape.
Onshape CAM bringt eine große Bibliothek von Haltern und Schraubstöcken mit, so dass der Anwender sehr effizient auch die Aufspannsituation rund um das Werkstück modellieren kann. Diese Spannvorrichtungen sind bei der Bearbeitung gerne im Weg und verursachen Kollisionen. Da Onshape den gesamten Bearbeitungsvorgang dreidimensional simulieren kann, lassen sich solche Kollisionen schnell und einfach erkennen und in der virtuellen Maschine beseitigen, bevor an der realen Maschine Schaden entsteht. Die Geometrien der Spannmittel stammen direkt von den Herstellern dieser Betriebsmittel, sind also sehr genau.
Mit CAM Studio bietet Onshape einen sehr wichtigen Prozessschritt als integrierte Lösungen – wie man das System insgesamt erweitert, habe ich ja im letzten Beitrag der Serie beschrieben. Jedenfalls ist es schön anzusehen, wie das System immer runder und kompletter wird und dabei weiterhin auf die cloudspezifischen Eigenschaften setzt, die in dieser Ausprägung nur Onshape bieten kann.
Onshape unterscheidet sich technisch sehr von anderen Systemen und bietet deshalb völlig neue, bisher undenkbare Möglichkeiten. In dieser Serie stelle ich diese Besonderheiten jeweils einzeln vor. Testen Sie Onshape kostenlos selbst – nach einer kurzen Anmeldung steht Ihnen das System direkt zur Verfügung! Onshape stellt im Learning Center einen interessanten Kurs namens Hands-On Test Drive zur Verfügung, der einen guten Überblick über die CAD-Funktionen bietet.