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Siemens im America’s Cup: Regatta der Konstrukteure

Manchmal ist der Job zum Heulen – da steht man an einem superinteressanten Ort und darf keine Bilder machen. Sogar die Linse der Smartphone-Kamera wurde bei Betreten des Gebäudes überklebt. Siemens PLM Software hatte eine Reihe von Journalisten nach Portsmouth/England eingeladen, um bei Land Rover Ben Ainslie Racing (BAR) mehr über die Konstruktion eines America's Cup-Segelschiffs zu erfahren. Die Briten sind der offizielle Herausforderer des BMW Oracle Teams und wollen im nächsten Jahr die „bodenlose Kanne“ nach England zurückholen, 166 Jahre nachdem der Schoner „America“ das Rennen vor der Isle of Wight gewann.

Unglaubliche Geschwindigkeiten - zu Wasser und in der Konstruktion bei Land Rover BAR (Bild: Harry KH/Land Rover BAR)
Unglaubliche Geschwindigkeiten – zu Wasser und in der Konstruktion bei (Bild: Harry KH/Land Rover BAR)

Beim Regatta segeln ist es mir schon passiert, dass wir in voller Fahrt am Ufer entlang“jagten“ und dabei von einer Fahrrad fahrenden Familie überholt wurden. Segelboote sind eben nicht schnell – 8 Knoten bzw. 15 km/h ist schon richtig schnell für ein herkömmliches Boot. Was seit 2013 im America's Cup betrieben wird, hat jedoch nichts mehr mit dem traditionellen Segeln zu tun. Heute fliegen 14 Meter lange AC45-Katamarane mit einem festen Flügel im Boeing 737-Format auf gebogenen Schwertern mit bis zu 60 km/h etwa einen Meter über die Wasseroberfläche. Und das sind nur die Trainingsboote, im eigentlichen Rennen werden AC50-Boote eingesetzt, die noch einmal anderthalb Meter länger, aber vor allem breiter, damit stabiler und bis zu 85 km/h schnell sein werden.

Die AC45-Boote haben mehrere Besonderheiten: Zum einen den festen Flügel statt weicher Segel, Das Flügelprofil, das aus einem festen Vorderteil in voller „Mast“höhe und drei Klappen dahinter besteht, ist weitaus effizienter als Stoffsegel, die ja nur grob in Form gebracht werden können. Es wird zwar noch ein Vorsegel gefahren, das dient jedoch nur noch als Vorflügel, der den Wind optimal zum Flügel leitet. Am Vortrieb hat die Fock kaum Anteil. Zum zweiten handelt es sich um Katamarane, die aufgrund ihrer Breite und der schmalen Rümpfe von vornherein schneller als Einrumpfyachten segeln.

Die dritte Besonderheit ist die Wichtigste: Die Boote besitzen L-förmige, profilierte Schwerter, die so viel Auftrieb erzeugen, dass sich das komplette, 3,5 Tonnen schwere Boot aus dem Wasser hebt – man spricht von Foilen. Dies wiederum verringert den Wasserwiderstand radikal und ermöglicht es den AC45-Katamaranen, bis zu dreimal schneller als der vorhandene Wind zu segeln – das Schiff wird von seinem eigenen Fahrtwind beschleunigt. Daraus ergibt sich ein weiterer Effekt, der für den Segler schwer verständlich ist: Es gibt kein Vorwindsegeln mehr, der Wind kommt immer von vorn, egal wie der tatsächliche (wahre) Wind weht. Zwischen Amwindkurs – also fast gegen den wahren Wind – und Vorwindkurs – wenn der wahre Wind von hinten kommt – dreht der scheinbare Wind auf dem Boot gerade mal um zehn Grad. Das bedeutet, dass auch keine Vorwindsegel wie Spinnaker oder Gennaker mehr gesegelt werden können.

Land Rover BAR nutzt eine breite Palette an Softwarelösungen von Siemens PLM Software. Design Manager Simon Schofield erläuterte, dass beim Aufbau des Teams vor zweieinhalb Jahren als Erstes ein System gesucht wurde, mit dem sich die Ideen der Techniker dokumentieren lassen. Da viele Schiffsdesigner Erfahrungen mit Siemens‘ NX haben, war schnell klar, dass NX als CAD-System gesetzt war. CTO Andy Claughton legte mehr Wert auf ein Datenverwaltungssystem, bei dem sich BAR dann konsequenterweise für Teamcenter, ebenfalls von , entschied. Von dieser Basis aus verbreiterte sich die Lösung aus Siemens-Produkten immer stärker. Dass BAR sich bei der CFD-Software für CD-adapco entschied, die inzwischen von Siemens PLM Software gekauft wurden, passt ins Bild.

Ein Rennen zwischen Konstrukteuren – mit Software von Siemens PLM Software

Ein eingespieltes Team - Segler und Konstrukteure arbeiten an einem gemeinsamen Ziel (Bild: Harry KH/Land Rover BAR).
Ein eingespieltes Team – Segler und Konstrukteure arbeiten an einem gemeinsamen Ziel (Bild: Harry KH/Land Rover BAR).

„Das ist nicht nur ein Rennen zwischen Segelboten, sondern auch zwischen den Konstrukteuren“, verdeutlichte Claughton. Land Rover BAR wurde im Juni 2014 gegründet und begann mit einem umgebauten AC45-Katamaran, der noch als konventionelles Boot ohne Foils gebaut wurde. Inzwischen steht T4, das vierte Testboot, kurz vor der Fertigstellung. Das eigentliche Rennboot, das nochmals fünf Fuß länger sein wird, darf erst 150 Tage vor dem eigentlichen America's Cup – der im Juli 2017 auf den Bermudas stattfindet – in Betrieb genommen werden.

Und erst dann wird sich erweisen, ob die vielen Simulationen und Tests ein Boot hervorgebracht haben, das stabil auf den Schwertern zu segeln ist. Diese Stabilität, die es zum einen ermöglicht, optimal schnell zu segeln, zum anderen, auf den Kufen zu wenden und zu halsen, ist ausschlaggebend. Fällt das Boot ins Wasser, bremst es so stark, dass der Rückstand in den nur etwa 20 Minuten langen Rennen kaum mehr aufzuholen ist. Die Ingenieure suchen also einen Kompromiss zwischen optimaler Geschwindigkeit und stabilem Foil-Verhalten.

Dabei wird sehr stark auf CFD gesetzt, wie Schofield sagte: Der Bau eines einzelnen Schwerts kostet etwa 150.000 Pfund, zudem dürfen am Rennboot nur vier verschiedene Schwerterpaare mit jeweils drei Unterteilen – der untere Schenkel des „L“ lässt sich tauschen – eingesetzt werden. Da für verschiedene Windverhältnisse unterschiedliche Schwerter benötigt werden, ist kein Raum für Fehlschläge. Zudem kann das eigentliche Rennboot erst ab dem 27. Dezember 2016 getestet werden, man ist also stark von Strömungssimulationen abhängig. Und erst ab dann kann mit der Optimierung auf Basis vonrealen Segeltests begonnen werden.

Luft, Wasser, Wellen – alles wird simuliert

CD-adapcos CFD-Lösung Star-CCM+ bringt hier optimale Voraussetzungen mit, da es besonders stark in der Berechnung von Multiphasenströmungen ist. Schofield erklärte mir: „Ein Auto aerodynamisch zu simulieren, ist relativ einfach – man hat es ja nur mit dem nicht beweglichen Boden und der Luft zu tun. Wir bewegen und zum Teil in der Luft, zum Teil im Wasser mit einer freien Grenze – der Wasseroberfläche – dazwischen. Und die Bewegung dieser Grenze – also die Wellenbewegung – ist für den Widerstand sehr wichtig.“

Claughton entdeckte dann die weiteren Simulationswerkzeuge von Siemens PLM Software und inzwischen ist wohl die gesamte Palette im Einsatz: Amesim für die Hydrauliksimulation, LMS für die Systemsimulation und Fibersim für die Berechnung der Kohlefasermatten, aus denen die Außenhaut des Boots besteht. Alleine ein Ruderblatt besteht aus über 100 Mattenlagen, die jeweils individuell zugeschnitten und ausgerichtet sind.

Das gesamte Schiff "lebt" als digitaler Zwilling in der Konstruktionsumgebung von Siemens PLM Software (Bild: Rick Tomlinson/Land Rover BAR)
Das gesamte Schiff „lebt“ als digitaler Zwilling in der Konstruktionsumgebung von Siemens PLM Software (Bild: Rick Tomlinson/Land Rover BAR)

Bei der Berechnung der Bespannung bekam BAR Hilfe von unerwarteter Seite: Es zeigte sich, dass die Folie, mit der der Flügel bespannt ist, unter der Windlast ein ähnliches Verhalten zeigt wie das Stoffdach von Cabrios – und mit denen hatte Sponsor Jaguar Land Rover viel Erfahrung. Der Autohersteller stellt neben der Erfahrung unter anderem seinen Rechencluster zur Verfügung.

Hydraulik ist ein wichtiger Erfolgsfaktor bei den AC45-Katamaranen, die „Grinder“ an den Kurbelapparaten treiben nicht mehr wie früher die Winschen direkt an, sondern erzeugen Hydraulikdruck, mit dem dann die Winschen betrieben und die Schwerter bewegt werden – diese lassen sich nach vorn und hinten neigen sowie in ihrer Querstellung einstellen. Ein kleiner Hydraulikspeicher ist erlaubt, bietet jedoch nicht genug Vorrat für komplexe Manöver. Die muskelbepackten Grinder müssen also konstant den Druck hochhalten. Da der Hydraulikdruck rein durch Muskelkraft erzeugt wird, muss das gesamte System sehr effizient arbeiten – was wiederum durch Simulation gewährleistet wird.

Schofield hatte noch ein tolles Beispiel, was eine integrierte Entwicklungs- und Datenmanagementlösung wie die bei Land Rover BAR bringen kann: Um zum Start im Louis Vuitton-Cup, in dem der Herausforderer des Titelverteidigers ermittelt wird, zugelassen zu werden, müssen umfangreiche Unterlagen bei den Vermessern abgegeben werden. Erst nach dem Nachweis, dass das Boot den hochkomplexen Regeln der Ausschreibung entspricht, darf mitgesegelt werden. Beim letzten America's Cup-Team, bei dem er arbeitete, benötigte Schofield vier Monate, um die Dokumentation zusammenzustellen, diese nahm einen ganzen Schrank in Anspruch. „Jetzt haben wir ein tagesaktuelles Modell des Schiffs im System und können jederzeit auf Knopfdruck die benötigten Daten zur Verfügung stellen.“

BAR nimmt das Thema „digitaler Zwilling“ sehr ernst und erhofft sich daraus einen Vorteil gegenüber den anderen Teams, die nach BAR-Aussagen nicht solch eine komplette, integrierte Umgebung nutzen. Allerdings weiß ich, dass BMW Oracle mit einer Lösung von Dassault Systèmes arbeitet, die sicherlich ähnlich komplett ausgebaut sein wird.

Es war – auch ohne Fotos – sehr beeindruckend, zum einen die High-Tech-Rennmaschine und ihre „Dompteure“ zu sehen und andererseits die Hinwendung, den Teamgeist und die absolute Fokussierung der Ingenieure zu spüren. Segelmannschaft und Ingenieure arbeiten extrem eng zusammen, die Ingenieure segeln auch auf dem Katamaran mit und erleben so hautnah, wie sich ihre Ideen inh der Praxis bewähren. Mangels einer deutschen Kampagne drücke ich den Briten die Daumen, dass sie 2017 die Kanne endlich heimholen können.

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